Der Schnelltest für Rheuma

Das Gründungsteam von Medirion

© Medirion

Die Lösung, der sich das Gründungsteam von Medirion verschrieben hat, hängt mit der Zeit zusammen, die heutzutage benötigt wird, um Rheuma zu diagnostizieren. Weil diese oft zu lang ist, um die Krankheit wirkungsvoll zu behandeln, hat das Team einen innovativen Ansatz entwickelt, mit dem sich das Diagnoseverfahren beschleunigen lässt. Im Interview berichtet der Gründer Markus Geffe von der Idee und den Erfahrungen mit der Gründung. Betreut wird das Gründungsteam übrigens von unserem Inkubator Health+.

Stellt euch als Gründungsteam doch einmal kurz vor. Wer steckt hinter dem Start-up?

Nun, wir von Medirion sind im Kern ein Team von drei Personen: Dr. Philipp Sewerin ist seit Mitte 2022 bei uns als Medical R&D Advisory für alle medizinischen Themen zuständig. Als Oberarzt im Rheumazentrum an der RUB muss er viele Themen jonglieren, macht aber für Medirion alles möglich, was notwendig ist, um unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen. Kris Simon ist vor wenigen Monaten über ein Acceleratorprogramm hinzugestoßen. Er bringt nicht nur eine Menge Erfahrung in der Softwareentwicklung, sondern auch das unternehmerische Denken mit. Er wird ab der Seed-Finanzierungsrunde u.a. mit mir das Medirion-Boot in Vollzeit als „Software Lead“ nach vorne steuern. Daneben begleiten uns natürlich eine Menge Menschen unterstützend, was sehr wichtig für Medirions Zukunft ist. Ob Rolf Fellmann in Sales Methoden, Dr. Tobias Gantner in strategischen Themen oder Prof. Karsten Nebe im UX-Design, Medirion kann stets auf einen Pool von Expert*innen auf ihrem Fachgebiet zurückgreifen. Gegründet wurde Medirion zunächst allein durch meine Person im Frühjahr 2020. Das heißt ich habe einige Jahre nach Aufbau eines eigenen s.g. „Fablabs“ die Entwicklung der ersten Prototypeniterationen mit interessierten Freunden gestemmt, bis wir durch den Kontaktaufbau mit drei Rheuma-Kliniken in der Region und durch Aufnahme in Accelerator-Programmen Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekommen hatten und das Team dann professionell personell wachsen konnte.

Beschreibt eure Gründungsidee:

Wir wollen der Schnelltest für Rheuma werden! In Deutschland und in vielen anderen Industrieländern darf die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis (kurz RA) nur von einem Facharzt gestellt werden und eine Überweisung zu diesem über den Hausarzt dauert leider sechs bis neun Monate. Da für die RA jedoch der Krankheitsverlauf nach drei Monaten nicht mehr umkehrbar ist, spielt die Schnelligkeit in der Diagnose eine unglaublich wichtige Rolle! Die Rheumatologen machen eine fantastische Arbeit, jedoch fehlt es aktuell noch an einem Test, der Rheuma unmittelbar nach Auftreten der ersten Symptome erkennt, um die Verschlechterung des Krankheitsverlaufs bis zum Termin mit dem Facharzt zu verlangsamen oder im besten Fall sogar zu stoppen. Genau an dieser Früherkennungsmethodik arbeiten wir.

Wie kamt ihr auf den Gedanken, ein Start-up zu gründen?

Angefangen hat alles mit einer Diagnose in der Familie. Mein Onkel erkrankte an rheumatoider Arthritis, bald darauf zwei weitere Familienmitglieder. Und alle beschwerten sich über den langwierigen Prozess zur Erkennung der dauerhaften Gelenksentzündung. Da kam bei mir die Frage auf, woran das liegt und an welchen Stellschrauben man drehen müsste, damit dies irgendwann nicht mehr der Fall ist. So ist die Basisidee entstanden und erst durch Erproben der technischen Lösung mit unterschiedlichen Prototypen hat sich die Zukunft für Medirion und damit auch das Team dahinter zu dem weiterentwickelt, was es heute ist.

Wie ließ sich die Gründung mit dem Studium/dem Beruf vereinbaren?

Das ist eine bittere Pille, die man schlucken muss. Wir haben uns für die wohl Bitterste entschieden, da wir in den letzten vier Jahren den technischen Proof of Concept und die Unternehmensentwicklung neben dem Vollzeitberuf verwirklicht haben. So haben wir uns den Verlust der Unternehmensanteile zur Finanzierung dieses Prozesses gespart und durften auf dem Weg dorthin eine Menge Erfahrung sammeln, die uns jetzt vor allem vor der Gründung einer Kapitalgesellschaft sehr hilft. Das machen so nur extrem wenige Start-ups und es ist sehr anstrengend, aber die Vorteile werden sich in den kommenden Finanzierungsrunden auszahlen.

Die WORLDFACTORY bedeutet für uns…

Der Health+ Inkubator der WORLDFACTORY ist für in erster Linie eine Heimat für Gleichgesinnte und ein Pool voller Expert*innen zu verschiedenen Problemfeldern. Gerade Start-ups aus dem Medizinbereich benötigen eine Menge Wissen aus verschiedenen Bereichen, um den langen Entwicklungs- und Zertifizierungsprozess bis hin zur Markteinführung sicher meistern zu können. Diese Expert*innen sind jedoch teuer und wollen selten ihr Wissen kostenfrei zur Verfügung stellen. Daher ist ein solcher kostenfreier Zugang zu Expert*innen über ein derart fantastisches Netzwerk goldwert.

Was sind die größten Herausforderungen, auf die man stoßen kann und wie geht man damit um?

Das finde ich von der Fragestellung her sehr schwer zu beantworten. Es gibt eine große Menge Herausforderungen, die man stemmen muss. Daher sind schlaflose Nächte vorprogrammiert. Am schlechtesten schlafe ich, wenn ich Dinge entscheiden muss, die man nicht oder nur sehr schwer rückgängig machen kann. Dazu zählen aktuell Personal- und Finanzierungsentscheidungen. Am besten geht man damit um, indem man sich ein Netzwerk von Gründenden im gleichen Themenfeld aufbaut. Man unterstützt sich gerne und kann mit einer Menge sehr erfahrener Menschen sprechen, um ihren Rat in den eigenen Entscheidungsprozess dann schließlich einbauen zu können.

Was ist das Besondere an eurem Start-up?

Wir gehen in vielen Dingen ungewöhnliche Wege. Ich denke, uns machen vor allem vier Eigenschaften besonders im Verhältnis zu „anderen Start-ups“. Erstens habe ich noch kein HealthTech Start-up getroffen, welches es mit nur einem fünfstelligen Betrag selbstfinanziert, ohne Fördermittel zu solch einem professionellen Team, drei Prototypen und drei Patenten (im Genehmigungsprozess!) geschafft hat. Das bringt wie gesagt die o.g. Vorteile mit sich. Ob das auch so zu empfehlen ist, will ich hier nicht bewerten, da es wirklich SEHR anstrengend war als Gründer. Zweitens sind wir eher „senior“ für ein Start-up aufgestellt. Jeder aus dem Kernteam hat entweder schon in einem Start-up oder in einem Scale-up gearbeitet und jeder im weiten Team ist älter als 35 Jahre und bringt entsprechende Erfahrung mit. Das ist unglaublich wichtig auf so vielen Ebenen, insbesondere honorieren Investoren ein erfahrenes Team mit bis zu einer zehnmal höheren Finanzierungsbereitschaft. Drittens fertigen wir alles inhouse. Soll heißen, dass jeder Hardware Prototyp inkl. individueller Elektronik in unserem eigenen „Medirion Fablab“ gedruckt und jede Zeile Code von uns selbst geschrieben wird. Dazu haben wir mehrere Dutzende tausend Euro in Maschinen investieren müssen. Wir haben also extrem kurze Iterationszeiten in der Prototypenentwicklung und nahezu Interessen-bereinigte technische Entscheidungsprozesse, d.h. wir sind unabhängig. Viertens sind wir sehr verstreut in Deutschland (Duisburg, Düsseldorf, Kleve, Köln, Frankfurt und München) und haben somit Zugang zu örtlich sehr unterschiedlichen Netzwerken.

Wo steht ihr aktuell und was kommt als nächstes?

Da wir unsere bisherigen Ziele selbstfinanziert haben, sind wir als schlankes (lean) Team berufsbegleitend sehr gut aufgestellt gewesen, jedoch müssen wir uns nun zur Meisterung unserer ersten Seed Finanzierungsrunde über wahrscheinlich 1,3 bis 2,0 Mio. € anders aufstellen. Das heißt wir müssen „investor ready“ werden. Dazu erweitern wir das Kern- und erweiterte Team in Q1 2024 um ein Drittel Dutzend Personen. Wir werden das Medirion Team unter anderem um einen Interim-CFO, eine/n Geschäftsmodelldesigner/in und eine/n Experte/in für regulatorische Fragen erweitern. Das ist dann mit voraussichtlich drei Vollzeit- und sechs-Teilzeit-Positionen wirklich kein schlankes Team mehr, aber ein „investierbares“ Team. Darauf kommt es nun an.

Euer Tipp an alle Gründungsinteressierten:

Hier fallen mir wieder vier Dinge ein: 1.) Gründet bitte nicht, falls ihr euch kurzfristigen Erfolg versprecht. Der Aufbau eines Start-ups ist ein Marathon und man muss diesen auch gehen wollen. Bevor ihr gründet, stellt euch die Frage, was ihr damit erreichen wollt und was ihr bereit seid, dafür in eurem Leben zu opfern. 2.) Baut ein starkes Selbst-Mantra auf. Der Weg wird anstrengend sein und es wird euch niemand motivieren, den nächsten Schritt zu gehen. Die Energie muss von euch selbst kommen und von niemandem sonst. 3.) Bleibt kritisch zu euch selbst und nehmt Kritik auf dem Weg und für den Weg als Geschenk an. Aber bleibt strategisch-kühn und haltet an eurer Vision fest. 4.) Baut für euch einen „Baum der Wahrheit“, das heißt zerlegt das Problem in Unterprobleme, die man als logische Einheit prüfen und auch korrigieren kann. Expert*innen nennen das auch „first principles thinking“. Diese unverrückbaren Wahrheiten sollten sich über die Entwicklungszeit immer weiter auskristallisieren und werden sehr wahrscheinlich sogar den Expertenmeinungen widersprechen. Seid auf letzteres gefasst.