#TOP5: Vintus - Smarte Sitzsysteme für mehr Bewegung im Alltag

Einer der Gründer von Vintus beim WSC Demo Day.

© WORLDFACTORY Start-up Center

Die Lösung, der sich die Gründer*innen von Vintus widmen, ist einfach wie überzeugend: Sie haben einen Bürostuhl entwickelt, der die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen verbessert, die einen Großteil des Tages sitzend verbringen, weil sie etwa einer Büroarbeit nachgehen. Das Problem ist, dass mangelnde Bewegung langfristig krank macht. Dagegen hilft Vintus. Beim ersten WSC Demo Day im März 2023 hat sich das Team mit seiner Idee den 5. Platz unter den Top 5 Start-ups der RUB gesichert. Wir haben mit den Gründern Dr. Johannes Wappenschmidt und Ahmed Chekir über ihr smartes Sitzsystem, das Ruhrgebiet als Gründungsstandort und ihre nächsten Schritte gesprochen.

Stellt euch als Gründungsteam doch einmal kurz vor. Was zeichnet euch aus?

Wir sind Ingenieure und haben Spaß an neuen technischen Ideen. Was uns auszeichnet ist sicherlich, dass wir uns nicht nur gerne über verrückte neue Ideen austauschen, sondern einige von ihnen auch umsetzen. Unser Hauptprojekt sind die smarten Sitzsysteme Hipwings, die automatisch für mehr Bewegung während der Büroarbeit sorgen. Damit möchten wir dem Bewegungsmangel in unserer modernen Arbeitswelt begegnen. Denn unsere Vision ist es, Volkskrankheiten wie Rückenschmerzen zu verhindern, die durch unseren körperlich inaktiven Lebensstil entstehen.

Wie hat euch der Demo Day gefallen und was ist seitdem bei euch passiert?

Der Demo Day hat Spaß gemacht und wir hatten den ganzen Abend gut zu tun. Denn erfreulicherweise wollten Viele unser smartes Sitzsystem direkt vor Ort ausprobieren und haben uns mit interessanten Fragen gelöchert.
Nach dem Demo Day haben wir erfahren, dass das WORLDFACTORY Start-up Center uns zu vielen Events und Messen in den kommenden Monaten einladen wird. Das ist für uns ein echter Mehrwert, weil wir damit auch als kleines und selbstfinanziertes Start-up die Chance bekommen, unser Produkt unterschiedlichen Menschen vorzustellen.

Wieso habt ihr euch dafür entschieden, im Ruhrgebiet zu gründen? Welche Vorteile bietet das Ruhrgebiet Gründer*innen aus eurer Sicht und was fehlt euch hier noch?

Unseren ersten Prototyp des smarten Sitzsystems haben wir damals an der RWTH Aachen entwickelt. Doch dann stand natürlich die Frage im Raum, was die automatischen Bewegungsanregungen eigentlich im menschlichen Körper bewirken und wie wir sie optimal für den Menschen ausgestalten können. Dazu haben wir nach Kooperationspartnern mit dieser Expertise gesucht und sind im Lehr- und Forschungsbereich Sportmedizin und Sporternährung der Ruhr-Uni Bochum fündig geworden. Denn hier wird schon lange und mit sehr umfangreichen Studien an Präventionsthemen gearbeitet. Das heißt konkret, dass wir wegen der spannenden Forschungsprojekte und der hohen Expertise an der RUB unseren Weg nach Bochum gefunden haben. Daneben schätzen wir am Ruhrgebiet besonders die „Ärmel-hoch“-Mentalität der Menschen. Wir treffen hier immer wieder auf Leute, die sich von guten Ideen begeistern lassen und Gründerinnen und Gründern weiterhelfen, weil sie sich freuen, dass sie hier in der Region etwas Neues wagen. Wirklich fehlen tut uns eigentlich nichts. Für die Zukunft sehen wir aber noch Potential in einem noch stärkeren Austausch zwischen lokalen Unternehmen und den hiesigen Start-ups.

Gibt es einen Lieblingsarbeitsplatz für euch in Bochum? Sitzt ihr auf Vintus-Stühlen?

Unser Lieblingsarbeitsplatz in Bochum ist sicherlich das Institutslabor mit den vielen Untersuchungsgeräten. Denn hier können wir in Echtzeit sichtbar machen, wie Hipwings auf den menschlichen Körper wirken. Aber die meiste Zeit arbeiten wir natürlich auch selbst im Büro. Und na klar sitzen wir dabei auch selbst auf unseren Hipwings.

Gründen in Krisenzeiten: Spürt ihr die Auswirkungen der Krisen in den letzten Monaten (Corona, Inflation, Rohstoffmangel etc.)? Wenn ja, wie geht ihr damit um?

Ja, wir mussten zum Beispiel unsere Platinen noch einmal ganz neu entwickeln, weil viele Computerchips und Elektronikbauteile, die wir benötigen, seit Monaten nicht mehr lieferbar sind. Das war eine Menge Zusatzarbeit, die nicht eingeplant war. Außerdem haben sich im letzten Jahr unsere Zukaufteile und Vorprodukte ziemlich verteuert. Das sind zusätzliche Herausforderungen, die viele Unternehmen gerade treffen. Vielleicht haben wir als Start-up noch am ehesten die Möglichkeit, flexibel darauf zu reagieren und uns kurzfristig an diese neuen Situationen anzupassen.

Laut Deutschem Start-up Monitor gehen die Zahlen der Neugründungen stetig nach oben. Gut ein Viertel aller Gründungen finden im universitären Umfeld statt. Welche Vorteile hat aus eurer Sicht eine Gründung während des Studiums?

Eine Gründung im Hochschulumfeld hat viele Vorteile. Zum einen gibt es dort ein ganzes Ökosystem, das einen bei der Gründung unterstützt. Die Gründungsberatung durch das WORLDFACTORY Start-up Center zum Beispiel, viele Events, bei denen man sich mit anderen Gründerinnen und Gründern austauschen kann, und Labore und Werkstätten, in denen man Prototypen entwickeln kann. Zum anderen gibt es in Deutschland großzügige Förderprogramme, um Gründungen aus der Wissenschaft zu fördern. Nutzen kann man diese Förderungen allerdings nur, wenn man aktuell oder vor kurzem noch an einer Hochschule studiert oder gearbeitet hat.

In den letzten Jahrzehnten wurden immer wieder Sitzsysteme entwickelt, die versprachen, die Gesundheit der Sitzenden zu fördern. Wer erinnert sich nicht an den Trend der großen, bunten Gymnastikbälle? Was unterscheidet euch davon?

Richtig, seit Jahrzenten gibt es immer wieder neue Sitzsysteme, die einen Gesundheitsvorteil versprechen. Doch wir sehen, dass im gleichen Zeitraum die sitzbedingten Volkskrankheiten wie Rückenschmerzen rasant ansteigen, anstatt weniger zu werden. Wie kann das sein?

Wir haben deshalb viele Menschen bei der Arbeit beobachtet und uns angesehen, wie sie diese Produkte nutzen. Dabei ist uns ein entscheidender Punkt aufgefallen: Wenn Menschen sich auf ihre Arbeit konzentrieren, dann vergessen sie alles andere um sich herum. In diesen Arbeitsphasen denken sie also auch nicht an die Bewegungsmöglichkeiten des ergonomischen Bürostuhls, auf dem sie sitzen und sie vergessen auch, regelmäßig aufzustehen und sich zu bewegen. Und hier liegt unserer Meinung nach das Hauptproblem aller vorhandenen Produkte: Bewegung findet nur statt, wenn die Menschen selbst daran denken. Und das vergessen wir leider die meiste Zeit, denn unser Gehirn ist nicht für Multi-Tasking gemacht. Wenn wir also konzentriert arbeiten, können wir nicht gleichzeitig ständig über unsere Bewegung nachdenken. Aus dieser Beobachtung heraus entstand die Idee, einen technischen Assistenten zu entwickeln, der automatisch für körperliche Bewegung sorgt. Denn dann kann Bewegung auch stattfinden, wenn wir mit dem Kopf völlig in unserer Arbeit versunken sind.

Und zu den Gymnastikbällen sollte man wissen, dass dies eigentlich Trainingsgeräte sind. Man kann sie also zur Abwechslung sehr gut im Arbeitsalltag einsetzen, sollte sie aber nicht für dauerhaftes Sitzen nutzen. Denn nur die wenigsten Menschen haben ihre Stütz- und Haltemuskulatur so trainiert, dass sie längere Zeit gut auf einem Gymnastikball sitzen können. Tauscht man den Bürostuhl von heute auf morgen durch einen Gymnastikball aus, ist es wahrscheinlich, dass man seine Muskulatur überlastet und schnell die Freude daran verliert.

Das Thema Homeoffice hat in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen. Hat das euer Geschäftsmodell beeinflusst und wenn ja, inwiefern?

Durch die Entwicklung zum Homeoffice fallen regelmäßige Wegstrecken zur Arbeit weg, auf denen man sich zuvor noch ein bisschen bewegt hat. Dadurch wird das Problem des Bewegungsmangels weiter verschärft. Wir passen unser Geschäftsmodell z.B. an folgende Entwicklungen an: Da die Beschäftigten weniger Anreize haben, ins Büro zu fahren, richten Unternehmen heute tendenziell weniger Arbeitsplätze ein. Dafür sehen wir, dass die freiwerdenden Budgets z.T. in deutlich hochwertigere Büroausstattung investiert werden. Das ist für uns eine positive Entwicklung. Hinzu kommt, dass Unternehmen wegen des Fachkräftemangels auf der Suche nach interessanten Zusatzangeboten für ihre Beschäftigten sind. Denn der Dienstwagen ist gerade von der jüngeren Generation heute viel weniger gefragt als noch vor ein paar Jahren. Und so treten z.B. E-Bikes oder auch eine gute Ausstattung für das Homeoffice in den Vordergrund, um qualifizierte Beschäftigte an das eigene Unternehmen zu binden.

Wo steht ihr aktuell und wie sehen die nächsten Schritte aus?

Wir produzieren gerade eine kleine Nullserie unserer Hipwings, um die Produktionsabläufe zu etablieren und erste Pilotverkäufe durchführen zu können. Für den weiteren Unternehmensaufbau sind wir immer auf der Suche nach spannenden Kooperationspartnern - aktuell insbesondere in den Bereichen Marketing und Vertrieb. Parallel dazu forschen wir gemeinsam mit dem Lehr- und Forschungsbereich Sportmedizin und Sporternährung der RUB an weiteren Anwendungsfeldern der neuen Technologie. Dazu führen wir Feldstudien in verschiedenen Unternehmen durch, um herauszufinden, wie wir die Bewegung im Arbeitsalltag noch besser fördern können. Außerdem untersuchen wir in diesen Studien, ob wir mit der Hipwings Technologie in Zukunft möglicherweise auch Stress und Rückenschmerzen reduzieren können.